Die fremde Welt der Freimauerer | ||||||||||||||||||||
Inhaltsübersicht 1) Brüder reicht die Hand zum Bunde... |
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Der Eisenbahnkönig Richard Hartmann, Tintenfabrikant Eduard Beyer, die Unternehmer Clauß, Esche, Pflugbeil, Pfaff, der Verleger Pickenhahn, die Musiker und Orchesterleiter Mejo und Stahlknecht, Bürgermeister André und Justizrat Dr. Enzmann - die Liste bedeutender Chemnitzer ließe sich um weitere Dutzend Namen erweitern. Was verbindet diese Männer mit berühmten Persönlichkeiten wie: Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Wolfgang von Goethe, den US-Präsidenten Washington, Roosevelt und Truman, den Astronauten Aldrin, Glenn und Cooper, mit Winston Churchill, Friedrich dem Großen, Giuseppe Garibaldi, Simon Bolivar, Ozeanflieger Charles Lindbergh, Buffalo Bill oder gar Giacomo Casanova? Sie alle waren Mitglieder eines Bundes, der sich selbst als "weltumspannende
Bruderkette" begreift: Sie waren
FREIMAURER
Wer sind diese Männer, die sich seit fast drei Jahrhunderten in über 130 Staaten der Welt "tätiger Aufklärung" verpflichtet fühlen? Eine Aura des Geheimnisvollen scheint diesen Bund zu umgeben, der nur Männer in seine Reihen aufnimmt, fremdartige Rituale pflegt und außerdem - so glaubt man- das Licht der Öffentlichkeit scheut. Was ist das Geheimnis der Freimaurer-Logen ?
Vom Ursprung der Freimaurerei Die Großsteinanlagen von Stonehenge und Carnac, die ägyptischen Pyramiden oder die himmelstürmenden Kathedralen des europäischen Mittelalters beeindrucken allein schon durch ihre Dimensionen. Das Staunen des Besuchers, der klein im Inneren eines Domes steht, gilt jedoch auch der Leistung der Erbauer: Wie war es Menschen möglich, mit scheinbar primitivsten Mitteln und Werkzeugen derart gigantische, zugleich auch filigrane Bauwerke dauerhaft auszuführen? Der wache Beobachter wird schließlich feststellen, daß Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten der Erbauer alles andere als "primitiv" waren. Die Bauhütten waren Lehrstätten einer hochentwickelten "Kunst", einer Technologie, deren Träger die Meister der Steinmetzgewerbe (Steinmetz = engl. "macon" = dt. "Maurer") waren. Alle Bauleute, die z.B. an einer gotischen Kathedrale arbeiteten, mußten sich in Werkstattverbänden, den sogenannten "Bauhütten" organisieren. Diese Bauhütten - das Wort "Hütte" ist verwandt mit dem franz.
Wort "Loge" - liefern uns den Schlüssel zum Verständnis der Organisation
einer Freimaurer-Loge.
Von der Bauhütte zur Loge Die Bauhütten hüteten die Geheimnisse ihres Berufsstandes auf das Sorgfältigste. Feste Rituale, Symbole, Grußformeln, selbst Geheimschriften und Paßworte, die nur dem Angehörigen der Bauhütte bekannt waren, gewährleisteten, daß kein Fremder sich den hohen Kenntnisstand der Hütten aneignen konnte. Außerdem hatte die Bauhütte karitative Funktion: Sie bot ihren Mitgliedern soziale Geborgenheit, sorgte für kranke, alte und berufsunfähige Bauleute. Mit dem 17. Jahrhundert begann die praktische Bedeutung der Dombauhütten zu schwinden. Dennoch genossen die Baumeister, die "Werkmaurer", offenbar großes gesellschaftliches Ansehen. Berufsfremde sahen es als Ehre an, den Bauhütten als Mitglied beizutreten: Adlige, Bürger, Gelehrte traten als "freie", "angenommene" und "spekulative", dh. nicht praktisch Bauausführende den Hütten bei. Sie betrachteten das "Bauen" unter einem neuen, symbolisch-geistigen und humanistischen Aspekt: Der rauhe Stein, den es zu bearbeiten, zu verfeinern und zu vervollkommnen galt, solle der Mensch selbst sein. Am 24. Juni 1717 schlossen sich in England vier solcher Logen,
in denen "spekulative Maurer" zusammenkamen, zur ersten Großloge
der Welt zusammen: Ihre Gründung markiert die Geburtsstunde der
geistigen Freimaurerei.
Wesen und Anliegen der Freimaurerei 1723 erschien das Gesetz- oder Konstitutionsbuch der Freimaurer erstmalig im Buchhandel. In diesen sog. "Alten Pflichten" wurden die Grundsätze freimaurerischen Handelns, wie sie bis heute gültig sind, schriftlich dargelegt. Sie verpflichten den "Bruder", das Logenmitglied, zu Toleranz und Achtung gegenüber Andersdenkenden. In Vorwegnahme des "kategorischen Imperativs" Immanuel Kants fordern sie vom Freimaurer, "dem Sittengesetz zu gehorchen", dh. alles zu tun, was Leben erhält, fördert und schützt, andererseits alles zu vermeiden, was Leben vernichtet, einschränkt oder verunstaltet. Inhalt dieser Anstrengungen ist - wie bei den alten Dombauhütten - das "Bauen": die Bauarbeit an einem "gewaltigen Tempel der Menschheit, eine Gesellschaft, in der der Geist der Humanität regiert". Trotz dieses Anspruches sehen sich Freimaurer selbst nicht als Weltverbesserer, sondern vorrangig als Menschenveränderer: Wenn der Einzelne lernt, Humanität praktisch in Beruf, Familie, Nachbarschaft, Freundschaft usw. zu leben, nur dann könne auch die Gesellschaft humaner werden. Die Bearbeitung des ursprünglich "rauhen Steines" Mensch, seine Erziehung als Grundbaustein des Tempels der Humanität versteht der Freimaurer als "Königliche Kunst". Die wenigsten Logen fordern von ihren Mitgliedern ein konfessionelles
Bekenntnis; alle Freimaurer aber bekennen sich zu einem "obersten Weltenbaumeister",
der je nach Kulturkreis anders interpretiert werden kann. In überwiegend
christlich geprägten Ländern liegt daher bei den Arbeiten der
Loge die Bibel als "Buch des Gesetzes" aus.
Freimaurerisches Wirken in der Geschichte In der fortschrittsfeindlichen Atmosphäre vieler feudalabsolutistischer Staaten des 18. Jahrhunderts wurde die Freimaurerei zu einer neuen Form des Protestes gegen moralische, wirtschaftliche, soziale und politische Mißstände. Die Logen hoben Standesunterschiede und soziale Ungerechtigkeit in ihren Reihen auf: Hier gab es keine Untertanen, sondern - beruhend auf dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen - nur gleichberechtigte, frei denkende und arbeitende Brüder. Es war verständlich, daß die Freimaurerlogen viele Persönlichkeiten anzogen, die für eine bessere, menschlichere Welt lebten, dachten, arbeiteten. Sie traten für den Abbau der Standesschranken, der Befreiung des Menschen aus seiner "selbstverschuldeten Unmündigkeit" und Abhängigkeit von Fürstentyrannei und Klerus ein. Sie forderten, daß der freie Mensch durch Erkenntnis und Wissen den Mut aufbringen solle, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Diese grundlegenden und revolutionären Gedanken der Aufklärung konnten sich in den abgeschirmten Logen der Freimaurer frei entfalten. Die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika - die Geburtsurkunde
der modernen Demokratie - , die französische Revolution, die deutschen
Befreiungskriege, die Freiheitsbewegungen Lateinamerikas und Italiens,
die russische Dekabristen-Bewegung entsprangen freimaurerischen Auffassungen
oder sind maßgeblich von ihnen beeinflußt.
"Geheimnisse", Rituale und Symbole Der gemeinsamen Arbeit der Freimaurer liegt eine wichtige psychologische Erfahrung zu Grunde. Seelische, verinnerlichte Vorgänge wie z.B. die ständige Selbsterziehung zu humanistischen Werten bedürfen für ihre dauerhafte Wirksamkeit eines besonderen, individuell und gemeinschaftlich erfahrbaren sinnlichen Ausdrucks. Hierzu bedient sich die Freimaurerei einer Vielzahl von Symbolen und festlichen, rituellen Handlungen. Diese sind zum Großteil der Tradition der mittelalterlichen Bauhütten entlehnt oder gehen auf antike Mysterien zurück. Diese Rituale stärken den Zusammenhalt der Freimaurer, die "Brüderlichkeit" untereinander wird durch ein tiefempfundenes gemeinsames esoterisches Erlebnis vertieft. In diesem Erlebnis liegt das "Geheimnis" der Freimaurerei: Es kann von Außenstehenden nicht durch die bloße Kenntnis von Geheimzeichen, Grußformeln, Symbolen und Handlungsabläufen, erfaßt werden. Dazu bedarf es einer emotionalen Bereitschaft, die exakt vorgegebenen heiligen Handlungen individuell auf sich wirken zu lassen bzw. ganz in ihnen aufzugehen. Diese Emotionalität ist ein Grund dafür, warum in den Logen
großer Wert auf Verschwiegenheit gelegt wird: sie dient ausschließlich
der Vermeidung von Spott und Verunglimpfung durch Menschen, die solcher
Gesinnung und Haltung weder Achtung noch Toleranz entgegenbringen.
Zentrale Symbole der Freimaurerei Senkblei: lotet die Tiefe des Gewissens aus
Symbolik in der freimaurerischen Hierarchie Rauher Stein = Lehrling: Stufe der Selbsterkenntnis
Rituale: Das Beispiel "schwarze Kammer" Bekundet ein Mann vor einer Loge seinen Wunsch, Freimaurer zu werden,
wird er eine bestimmte Zeitdauer dort zu Gast sein. Während dieser
Zeit können sich die Brüder der Loge ein Bild über die Persönlichkeit
des Antragstellers machen. Zu den eigentlichen Arbeiten ist der Gast nicht
zugelassen. Während die Logenmitglieder die Rituale im Tempel vollziehen,
hat er in der schwarzen Kammer die Gelegenheit zur Meditation über
seinen Entschluß, Freimauerer zu werden. In der Kammer sieht er sich
den Symbolen der Zeitlichkeit gegenüber: Totenschädel, Sanduhr,
Buch des Gesetzes (im abendländischen Kulturkreis zumeist die Bibel).
Diese Symbole sollen ihm die Endlichkeit seiner Existenz, zugleich aber
auch die Aussicht auf eine spirituelle Wiedergeburt als Freimaurer vor
Augen führen. Aus der Dunkelheit der Kammer wird er später
in das "Licht" einer neuen Lebenserfahrung treten, die ihm die Brüderlichkeit,
das gemeinsame Arbeiten "am Tempel der Humanität" und das gemeinsame
Erleben der Freimaurerei geben wird.
Diffamierung und Verfolgung der Logen Aufgrund ihres konsequenten Eintretens für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sah sich die Freimauerei Zeit ihrer Existenz der Verfolgung durch totalitäre Systeme ausgesetzt. Ihren Höhepunkt fand die Unterdrückung der Freimaurer und ihres Gedankengutes im nationalsozialistischen Deutschland. Hitler sah seine "Herrenrasse" durch eine "geheime Weltallianz" aus "Bolschewiken, Freimaurern und Juden" bedroht, ungeachtet der Tatsache, daß die wichtigsten Vorkämpfer des deutschen Nationalstaates - Blücher, Scharnhorst, Stein - sowie sein "Vollender", Kaiser Wilhelm I., Freimaurer waren. Nicht wenige Freimaurer, die an ihren Idealen festhielten, emigrierten oder wurden umgebracht. Das Verhältnis der DDR zur Freimaurerei war ambivalent. Als Träger des historischen "gesellschaftlichen Fortschritts" wurde ihr durchaus hohes Ansehen entgegengebracht. Andererseits erfolgte keine Wiederzulassung der Logen: Ihre "Geheimnisse" und ihren bürgerlichen Internationalismus betrachtete der real existierende Sozialismus als "wesensfremd". Auch moderne Demokratien stehen der Freimaurerei nicht vorbehaltlos gegenüber. Ihre Verschwiegenheit nährt die Vermutung, die Logen könnten - außerhalb kontrollierbarer Politik - einen geheimen Einfluß auf die Gesellschaft ausüben. Obwohl sich die Logen selbst strikt von der sogenannten "Geschäftsmaurerei"
distanzieren, haben Fälle der Bevorzugung von Logenbrüdern im
Geschäfts- und Wirtschaftsleben ebenfalls zu einer starken öffentlichen
Kritik an den Logen geführt.
Freimaurer in Revolutionen und nationalen Unabhängigkeitsbewegungen
Alte Ziele - Neue Aktualität
Tendenzen innerhalb der modernen abendländischen Gesellschaft verleiten pessimistische Kritiker gern zu dem Schluß, daß offenbar das "Mittelalter" noch längst nicht überwunden sei: Rassenwahn, Nationalismus und politischer Extremismus, Gewalt, Verunsicherung, Krieg sind auch an der Wende zum 3.Jahrtausend noch immer in den Medien präsent. Das Individuum vereinsamt in einer anonymen Massengesellschaft, Kultur und Wissen werden angesichts geistiger Verflachung in vielen Medienbereichen immer fragwürdiger. Menschlichkeit und Freiheit scheinen zu bedeutungslosen Worthülsen zu verkommen, für die persönlicher Kampf kaum noch lohnt. Es scheint Zeit zu sein für eine neue Aufklärung: hier sehen die Freimaurerlogen der Gegenwart ihr Betätigungsfeld. "Echte Freundschaften zu stiften unter Menschen, die sich einander sonst fremd geblieben wären" - diese Aufgabe betrachten die Logen heute vordringlicher denn je. Vor dem Hintergrund enormer gesellschaftlicher und technologischer Veränderungen und der damit verbundenen Infragestellung vieler überkommener Werte versuchen die Freimaurer, "vergangene Hoffnungen der Menschen" auf Humanität, Toleranz, Kultur und Harmonie" "einzulösen" (Adorno/Horkheimer)
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