Das geistige Leben der Bürger wird durch den Pietismus
bestimmt: seine gesamte Existenz ist auf eine übersteigerte und gefühlsbetonte
christliche Bewährung in Familie und Beruf ausgerichtet.
Damit geht eine vehemente Ablehnung von Sinnenfreuden, Lebenslust und
Kunst einher. Die Gebäude der Stadt sind karg und schlicht, es gibt
kaum eigenständiges Kunstschaffen. Nicht selten werden Zeugnisse alter
Kultur vernichtet. Das Bildungswesen wird als muffig und altertümlich
eingeschätzt.
Fazit: Das gesamte Erscheinungsbild der Stadt um 1800 entspricht
dem des 16. Jahrhunderts.
Der Chemnitzer Marktplatz um 1800 (Schützenscheibe)
Die Sichtweise des Lobenden: Aufbruch ins Industriezeitalter
In Chemnitz entstehen mit den Maschinenspinnereien die ersten Fabriken
Sachsens. Gewerbetreibende und Unternehmer orientieren sich am internationalen,
vorrangig am englischen Markt. Technologische Innovationen werden schnell
in der Stadt heimisch.
Gedanken der Aufklärung finden Eingang in das kulturelle
Leben der Bürger. Die Lateinschüler bringen Lessing und Schiller
auf die Bühne, Chemnitzer Verleger drucken Werke modernster Geistesströmungen,
wissenschaftlich fundierte Chroniken und erste Zeitungen erscheinen.
In privaten und öffentlichen Häusern manifestiert sich zeitgenössische
Kunst: klassizistische Malerei schmückt Chemnitzer Haushalte. Wache
Geister treffen sich zum Gedankenaustausch in exclusiven Zirkeln, wie
z.B. der Casino-Gesellschaft. Handwerker und Gewerbetreibende erweitern
ihren Horizont mit Fachliteratur und Belletristik.
Fazit: Die Stadt bricht ins 19. Jahrhundert, in die Moderne auf.
Alte Spinnerei in Furth bei Chemnitz
Aufruhr!!
Die Franzosen haben ihren König gestürzt! Der Geist
der Revolution breitete sich über Europa aus und erreichte Sachsen.
1790 erhoben sich die sächsischen Bauern in den Ämtern
Chemnitz, Torgau, Stolpen u.v.m. gegen die drückenden feudalen Lasten.
Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Der Anspruch kleiner Fürsten
auf absolute Macht erregte jedoch weiterhin die Gemüter, z.B. in den
Städten der Schönburgischen Herrschaften.
Die beginnende Industrialisierung verunsichert die Menschen:
die zünftig gebundenen Handwerker sahen sich durch freies Unternehmertum
in ihrer Existenz bedroht. Die Fabrik "ist die Hölle": Frauenarbeit,
Kinderarbeit, massenhafte Verelendung von Weberfamilien! Dazu ein "unnatürlicher"
Arbeitsrhythmus im Takt der Maschinen...
Die Seelen-Sicherheit, die der christlich-pietistische Glaube bot, geriet
angesichts des erkennbaren "Weltenumbruchs" ins Wanken. Auch das
Gespenst des Krieges rückte wieder in greifbare Nähe: Sachsen
marschieren mit der Reichsarmee in Frankreich ein. Der "terreur" der Jacobiner
ließ viele sächsische Verfechter und Befürworter von den
revolutionären Ereignissen in Frankreich Abstand nehmen.
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