Die Stadt um 1800 - Widersprüche
     
   
Die Sichtweise des Kritikers: das verschlafene Provinznest

Das wirtschaftliche Leben der Stadt wird weitgehend durch eine mittelalterliche Institution - die Zunft der Handwerker - geprägt. Sie verhindert alle technischen Neuerungen. Der Handwerker selbst sieht nicht über den Rand seiner Werkstatt hinaus. Er arbeitet so, wie bereits 300 Jahre zuvor.


Das geistige Leben der Bürger wird durch den Pietismus bestimmt: seine gesamte Existenz ist auf eine übersteigerte und gefühlsbetonte christliche Bewährung in Familie und Beruf ausgerichtet.

Damit geht eine vehemente Ablehnung von Sinnenfreuden, Lebenslust und Kunst einher. Die Gebäude der Stadt sind karg und schlicht, es gibt kaum eigenständiges Kunstschaffen. Nicht selten werden Zeugnisse alter Kultur vernichtet. Das Bildungswesen wird als muffig und altertümlich eingeschätzt. 

Fazit: Das gesamte Erscheinungsbild der Stadt um 1800 entspricht dem des 16. Jahrhunderts.

Der Chemnitzer Marktplatz um 1800 (Schützenscheibe)


 


Die Sichtweise des Lobenden: Aufbruch ins Industriezeitalter

In Chemnitz entstehen mit den Maschinenspinnereien die ersten Fabriken Sachsens. Gewerbetreibende und Unternehmer orientieren sich am internationalen, vorrangig am englischen Markt. Technologische Innovationen werden schnell in der Stadt heimisch.

Gedanken der Aufklärung finden Eingang in das kulturelle Leben der Bürger. Die Lateinschüler bringen Lessing und Schiller auf die Bühne, Chemnitzer Verleger drucken Werke modernster Geistesströmungen, wissenschaftlich fundierte Chroniken und erste Zeitungen erscheinen.

In privaten und öffentlichen Häusern manifestiert sich zeitgenössische Kunst: klassizistische Malerei schmückt Chemnitzer Haushalte. Wache Geister treffen sich zum Gedankenaustausch in exclusiven Zirkeln, wie z.B. der Casino-Gesellschaft. Handwerker und Gewerbetreibende erweitern ihren Horizont mit Fachliteratur und Belletristik. 

Fazit: Die Stadt bricht ins 19. Jahrhundert, in die Moderne auf.
 
 

Alte Spinnerei in Furth bei Chemnitz


Aufruhr!!

Die Franzosen haben ihren König gestürzt! Der Geist der Revolution breitete sich über Europa aus und erreichte Sachsen.

1790 erhoben sich die sächsischen Bauern in den Ämtern Chemnitz, Torgau, Stolpen u.v.m. gegen die drückenden feudalen Lasten. Der Aufstand wurde niedergeschlagen. Der Anspruch kleiner Fürsten auf absolute Macht erregte jedoch weiterhin die Gemüter, z.B. in den Städten der Schönburgischen Herrschaften.

Die beginnende Industrialisierung verunsichert die Menschen: die zünftig gebundenen Handwerker sahen sich durch freies Unternehmertum in ihrer Existenz bedroht. Die Fabrik "ist die Hölle": Frauenarbeit, Kinderarbeit, massenhafte Verelendung von Weberfamilien! Dazu ein "unnatürlicher" Arbeitsrhythmus im Takt der Maschinen...

Die Seelen-Sicherheit, die der christlich-pietistische Glaube bot, geriet angesichts des erkennbaren "Weltenumbruchs" ins Wanken. Auch das Gespenst des Krieges rückte wieder in greifbare Nähe: Sachsen marschieren mit der Reichsarmee in Frankreich ein. Der "terreur" der Jacobiner ließ viele sächsische Verfechter und Befürworter von den revolutionären Ereignissen in Frankreich Abstand nehmen.

 

 
         
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