Turniere und Schützenfeste 
 Spiel und "Sport" vor 1800 
 
    
 
 
  Bereits seit dem späten 19. Jahrhundert treibt man in Deutschland - nach angelsächsischem Vorbild - Sport; 1847 wurde der erste Turnverein in Chemnitz gegründet. Und  davor? In Mittelalter und frühe Neuzeit gab es zwar noch kein "Turnen" und keinen "Sport", aber bei genauem Hinsehen können wir doch manche "Vorläufer" entdecken. Allerdings waren diese - wie alle Lebensformen damals von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten "Stand" der Gesellschaft (Adel - Bürger - Bauern) bestimmt.  
 

Spiel 

 Gerung, Melancholia (Ausschnitt)   

Kinder und Erwachsene haben zu allen Zeiten gespielt. Manches Spielzeug erscheint uns fast zeitlos, wie z. B. Würfel oder Murmeln, anderes ist erst in den letzten Jahrzehnten aus der Mode gekommen, wie z. B. Reifen, Stelzen oder Steckenpferd. Aus den wenigsten Spielen ist später eine Sportart geworden, bei einigen jedoch wurden die Ansprüche an Geschicklichkeit, Ausdauer und Leistungsvergleich so stark entwickelt, daß sie heute zum Bereich Sport gerechnet werden. Der Reifen hat es bei der Sportgymnastik sogar zur olympischen Ehre gebracht.  
 

Humanismus und Christentum 

Im Zeitalter des Humanismus und der Renaissance war das Interesse an den antiken olympischen Sportarten neu erwacht. Vielfältig sind die regionalen Zeugnisse für die Beschäftigung mit dem Ringen:  

    aus: Auerswald, RingerkunstLucas Cranach d. Ä. illustrierte Fabian von Auerswald "Ringerkunst" (Wittenberg 1539).  

    Die von Leonhard Nather 1522 verfaßte Zwickauer Stadtschulordnung belegt Übungen des Leibes, wie Laufen, Ringen, Springen und Fechten jeweils am Mittwochnachmittag.  

    Kurfürst Johann Georg I. von Sachsen erlaubte seinen drei Söhnen 1620 ausdrücklich körperliche Betätigung, zu einem Zeitpunkt, wo sie in Schulen zumeist unerwünscht war.

Die Humanisten gingen vom antiken Ideal des körperlich und geistig gleichermaßen gebildeten Menschen aus. Daß sie bei dieser Wiederbelebung nur begrenzte Erfolge hatten, hängt auch mit der Bewertung des menschlichen Körpers im christlichen Glauben zusammen. "Der Körper ist ein zerbrechliches Gefäß für die ewig lebende menschliche Seele"; "der Körper muß abgetötet werden, damit die Fleischeslust nicht den Weg in den Himmel verbaut" - solche den Leib abwertenden Auffassungen haben dazu beigetragen, daß körperliche Übungen nur schwer einen eigenen Stellenwert in der Gesellschaft erringen konnten. 

Am Beispiel der Diskussionen um das Baden in der freien Natur sei an diese körperfeindliche Grundeinstellung erinnert: 
Für viele von uns ist es  unvorstellbar, daß man sich jahrhundertelang darüber ernsthaft streiten konnte, ob das Baden in der freien Natur schädlich oder nützlich sei. Überlieferte Badeverbote, z. B. die des Paulus Niavis oder des Adam Siber aus Chemnitz, berufen sich auf die Todesgefahr für ihre Schüler. Adam Siber schrieb sinngemäß: " Im Sommer läßt sich ein verständiger Knabe nicht zum Baden verlocken, um nicht, wie es vielen geschah, in den kalten Wellen den Tod zu erleiden." 
 

Von der Waffe zum Sportgerät 

Eine weitere wichtige Wurzel des modernen Sports sind die militärischen Übungen, die wir - nach Ständen aufgeteilt - im Nordflügel des Kreuzganges zeigen. Das adlige Turnier steht im Mittelpunkt, denn  es spiegelt ein oft zu beobachtendes Muster: Wenn Kampftechniken überholt sind, dann können sie - in entmilitarisierter Form - zu reglementierter Körperertüchtigung und zu beliebten "zivilen" Schaukämpfen und später dann zu modernen Sportarten werden. Die große Zeit der Turniere setzte ja erst ein, als die Ritter bereits große Niederlagen - zuerst durch Bogenschützen und später durch Feuerwaffen - erlitten hatten. 
 

Die Stadtbürger 

Nicht nur Adlige traten in Turnieren an. 1613 fand auf dem Chemnitzer Marktplatz ein "Rennen" statt, an dem "einige Bürger der Stadt" teilnahmen. Wichtiger jedoch für die Städter waren andere Waffenübungen, bei denen ebenfalls der militärische Zweck im Laufe der Zeit neuen, "zivilisierteren" Zielen weichen mußte: dem sozialen Ansehen (Schützengesellschaften), dem Leistungswettbewerb (Schützenkönig) und schließlich dem reinen Spaß am sportlichen Tun. 
ArmbrustDer Adler auf der Stange war das höchste Ziel für die Armbrustschützen, die Scheibe beim Pfingstschießen das der Gewehrschützen. Auch der bürgerliche Sieger trug nicht nur den Ruhm davon, sondern erhielt seinen Preis. Die im 15. Jahrhundert gegründete Gilde der Chemnitzer Armbrustschützen kann sich jedenfalls zu den ganz wenigen Urahnen der hiesigen Sportvereine rechnen. 
  
Adligen Gepflogenheiten wurden im Lauf der Jahrhunderte von den niederen Ständen übernommen, dies gilt nicht nur für das Turnier, sondern auch für einen anderen bis heute weit verbreiteten Sport, das Fechten. Ein Handbuch zur Fechtliteratur sowie einige zivile und militärische Fechtwaffen erinnern an die um 1700 bestehende Chemnitzer Fechtschule. 

Jahrmärkte und Volksfeste waren ein besonders beliebter Raum für Wettkämpfe. Reisende Akrobaten, Artisten und Athleten belustigten die Besucher, aber auch jedermann konnte seine Kraft und seine Geschicklichkeit unter Beweis stellen. Am "Galgenvogel"  konnten die Jahrmarktsbesucher zeigen, wie treffsicher sie waren. Eine erzgebirgische Chronik Christian Lehmanns aus dem Jahre 1699 berichtet "von grossen und starcken Leuten". Bei einer Kraft-Demonstration wurde sogar ein Preis ausgesetzt. Der betreffende Steiger aus Elterlein hatte "in der Rittersgrün auff dem rothen Hammer 8 Wag-Eisen / 4 auf jeder Achsel / Summatim 288 Pfund hundert Schritt weit getragen und damit einen Thlr. gewonnen."  
 

Auf dem Lande 

Der von körperlicher Arbeit geprägte Alltag auf dem Lande ließ nur wenig Raum zu "sportlichen" Übungen. Doch wie die jungen Burschen ihre Kräfte miteinander gemessen haben, ist schon sprichwörtlich geworden, und auf den ländlichen Jahrmärkten und Festen herrschte ein eben so buntes Treiben wie auf den städtischen. Selbst das Turnier wurde von den Bauern kopiert, wie die folgende - allerdings leicht karikierende - Abbildung zeigt. 

Bauernturnier (Karikatur)

 
 
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