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Frisch
- Fromm - Fröhlich - Frei
Die deutsche Turnbewegung |
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Die
Anfänge
Die Geschichte der modernen Leibesübungen begann in Deutschland im "Zeitalter der Befreiungskriege" zu Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Turnen. Seine wichtigsten "Väter" Johann Christoph GutsMuths (1759 bis 1852) und Friedrich Ludwig Jahn (1778 bis 1852) konzipierten Turnen als ein umfassendes System von Leibesübungen, das in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter ausgeübt wird. Dazu zählten nicht nur die heute bekannten Übungen an Geräten (z. B. am Pferd) und am Boden, sondern viele andere, wie z. B. die "volkstümlichen Übungen" (Leichtathletik), Wandern, Schwimmen oder Bewegungsspiele. In Chemnitz faßte das
Turnen in den 30er und 40er Jahren Fuß. 1837 wurde der erste Turnunterricht
erteilt; am 11. Juni 1847 gründeten 56 aktive Turner und 34 "Turnfreunde"
den ersten Chemnitzer Turnverein.
Aus den Anfangsjahren der Turnbewegung haben sich einige markante Objekte
erhalten: Die älteste Fahne (1846), eine Mitgliedskarte des "Turnvereins
zu Chemnitz" (von 1847 bis 1850), ein Liederbuch (1847) und das Porträt
des Chemnitzer "Turnvaters" Weigand.
Der gelernte Schuhmacher Ambrosius
Weigand (1799-1886) kam 1836 aus Böhmen nach Chemnitz, wo er eine
Anstalt für Tanz-, Anstands- und Fechtunterricht eröffnete. Nach
dem Besuch von Werners Gymnastikschule in Dresden erweiterte er 1837 sein
Angebot mit Turnunterricht, zunächst für Kinder, ab 1841 auch
für Erwachsene. Mitte der 40er Jahre unterrichtete Weigand, unterstützt
von seinen drei Söhnen und seinen beiden Töchtern, bereits 500
Schüler. Der Unterricht fand im Winter in Sälen von Gastwirtschaften
und im Sommer in Gärten statt. 1842 mietete Weigand vor den Toren
der Stadt einen Garten vom städtischen Hospital St. Georg. Der Turnplatz
war mustergültig gestaltet und zwar nach dem Vorbild der "Hasenheide"
in Berlin, die Jahn 1811 angelegt hatte. Auf dem Chemnitzer Platz, der
in unserem Modell wiedererstanden ist, konnten 50 bis 80 Turner aus Weigands
Privatschule (und später aus dem Verein) gleichzeitig turnen.
Der erste Turnverein "Deutsche Turner", "anno 1840", "Vereinsgründung" - heute stellen sich bei diesen Stichworten ganz falsche Assoziationen ein. Wir müssen uns erst den Blick freimachen vom altväterlich - konservativen Image der Turner späterer Jahrzehnte, genauso wie vom heutigen Erscheinungsbild des Turnens als einer Sportart unter vielen. Wir müssen uns lösen des weiteren von der Vorstellung, daß es - wie z. B. nach der Wende - ein ganz normaler Vorgang sei, einen Sportverein zu gründen und daß Vereine eher als traditionelle Organisationen gelten, die heute ernsthaft von kommerziellen Anbietern und vom freien Straßensport bedrängt werden. "Anno 1840" war der Verein eine neue, hochmoderne Organisationsform. Die Turner waren in Deutschland für Jahrzehnte die einzigen, die körperliche Übungen kultivierten. Zudem galten die Turner damals als politisch höchst suspekt. Die Obrigkeit sah in ihnen eine Tarnorganisation von Demokraten und Patrioten, die einen starken Nationalstaat forderten. Bei ihrer Losung "Frisch - fromm - fröhlich - frei" hatte das letzte Wort einen durchaus revolutionären Klang. Der Argwohn bestand zu Recht, denn bei der Revolution 1848/49 kämpften die Turner an vorderster Front unter der schwarz-rot-goldenen Fahne - in Sachsen wie anderswo. Die Chemnitzer "Turnerkompanie", angeführt von Hermann Weigand (einem Sohn des Chemnitzer Turnvaters) kämpfte, etwa 50 Mann stark, im Mai 1849 in Dresden. Hermann Weigand fiel an den Barrikaden am Dresdner Neumarkt; seine Grabplatte erinnert noch heute an die politische Überzeugung der frühen Turner und an das Schicksal der vielen gefallenen oder lange Jahre in der Festung Königstein eingekerkerten Turner.
(Aus der Beilage zum "Chemnitzer Boten" vom 14. Juli 1848)
Turnen wird gesellschaftsfähig Als 1858 der Verein wieder gegründet werden durfte, wuchs seine Mitgliederzahl rasch. Außerdem entstanden im Umland und in den neuen Vororten zahlreiche weitere Vereine. Nun entwickelte sich eine Vereinskultur, für die die Turner berühmt geworden sind. Auch in Chemnitz gibt es die repräsentativen bestickten Fahnen (Turn-Klub Chemnitz 1862, TV Chemnitz-Hilbersdorf 1881, TV Pestallozzi 1914), Einzel- und Gruppenfotos, Abzeichen, Preise und Urkunden, die von der Verbandsarbeit zeugen. Geldpreise waren verpönt; Medaillen kamen erst später (unter dem Einfluß des Sports) auf. Symbol des Sieges war wie in der Antike der Kranz - allerdings etwas eingedeutscht: Statt mit Lorbeer wurden die Turner mit Eichenlaub bekrönt. Doch je mehr die Turnbewegung gesellschaftsfähig wurde, desto mehr wandelte sich ihr national-revolutionärer Charakter zu einer national- konservativen Gesinnung. Zu den besonders wertvollen Dokumernten gehört der Film über das sächsische Landesturnfest, das 1930 in Chemnitz auf der Südkampfbahn stattfand. Die Szenen vermitteln einen lebendigen Eindruck vom Volksfestcharakter dieses Ereignisses, von der Begeisterung der Menschen. Sie zeigen auch eine Besonderheit des deutschen Turnens, die "Freiübungen", und erinnern damit an eine Tradition der deutschen Turnerschaft, die "patriotische Massengymnastik" mit einem Vorturner, die unübersehbar vom Exerzierreglement des Militärs geprägt war. Die zweite starke Tradition des deutschen Turnens hat sich in der Schule entwickelt, wo insbesondere durch August Spieß der militärische Drill in den Mittelpunkt rückte. In Chemnitz begann das Schulturnen 1864, zuerst an Höheren Schulen, später an Volksschulen.
Die Turnhallen Die städtische Vereinsturnhalle
an der Markthalle aus dem Jahre 1879 war die erste von der Stadt Chemnitz
errichtete Sportstätte. Zwar hatten die Stadtverordenten schon 1864,
d. h. nur sechs Jahre nach der Wiederzulassung des Vereins, den Neubau
beschlossen, doch so ganz problemlos schien es nicht, mit öffentlichen
Mitteln eine Sportstätte für einen Turnverein zu bauen.
Geebnet wurde der Weg durch eine Übereinkunft - heute würden
wir sagen "Deal": Der Verein verpflichtete sich, die städtische Feuerwehr
durch eine eigene Turnerfeuerwehr zu verstärken.
Mit der Einführung des Schulfachs Turnen entstand ein großer Raumbedarf. Die Schulturnhalle wird nun zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Schulgebäude. Ein interessantes Experiment erregte deutschlandweit Aufsehen: die Bernsdorfer Schule (Entwurf des bekannten Architekten Erich Basarke). Diese preisgekrönte und bis heute erhaltene Anlage sah zwei übereinanderliegende, in das Schulgebäude voll integrierte Säle vor, in denen die Jungen und Mädchen - wie damals üblich - getrennt turnen konnten. Ebenfalls berühmt wurde das
Modell einer Schulturnhalle des Chemnitzer Oberturnlehrers Moritz Zettler
(1835 bis 1903). Dieser bedeutende Theoretiker, Praktiker und Pädagoge
hat nicht nur viele Schriften verfaßt, sondern auch seine Reformvorstellungen
und Verbesserungsvorschläge in einem großen Modell (ca. 6 x
2 m) vorgestellt. Es erregte 1873 auf der Weltausstellung in Wien großes
Aufsehen und erhielt ein Anerkennungsdiplom. Die italienische Regierung
erwarb das Werk, wohl als Vorbild für den Ausbau des Schulturnens
in Italien. Leider blieben unsere Nachforschungen bei italienischen Ministerien
und Museen nach dem Verbleib dieses Modells ohne Erfolg.
Sportgeräte und -bekleidung Zettlers Anliegen zielte weniger
auf eine neue Architektur, sondern vor allem auf die Ausstattung mit Geräten.
Das Modell wurde in einem so großem Maßstab gefertigt, damit
die (zum Teil von Zettler selbst weiterentwickelten) Turngeräte detailliert
nachgebildet werden konnten. So schlug Zettler die Brücke vom Schulturnen
zu einem anderen wichtigen Aspekt der Turnerstadt Chemnitz: der Produktion
von Turngeräten.
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