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Frisch
- frei - stark - treu
Die Arbeiter-Turn- und Sportbewegung |
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Der
Gegensatz zwischen Turnern und Sportlern ist oft polemisch überspitzt
worden, gleiches gilt für die bürgerlichen Vereine und Arbeitervereine.
Doch Arbeitervereine etwa haben nichts grundsätzlich neues "erfunden",
sie übernahmen vielmehr - wenn auch deutlich relativiert - die Trennung
zwischen Turnen und Sport und sie verwendeten selbstverständlich auch
die Organisationsform des Vereins.
Was war dann das besondere der Arbeitervereine? Vordergründig waren sie Selbsthilfeorganisationen, denn den Arbeitern blieb aus materiellen und sozialen Gründen der Zugang zu zahlreichen bürgerlichen Vereinen verwehrt. "Für vaterlandslose Gesellen ist kein Raum", hatte einer der führenden Funktionäre der deutschen Turnerschaft verkündet. Die Arbeitervereine sorgten also ganz wesentlich dafür, daß Turnen und Sport für breite Bevölkerungsschichten erschlossen wurde. Besonders wichtig war der Selbsthilfegedanke z. B. beim Fußball, wo 1912 eine eigene Arbeiterbußball-Liga, die "Sächsische Spielvereinigung" gegründet wurde. Zu nennen sind auch der Arbeiter-Radfahrer-Bund "Solidarität" mit eigener Fahrradproduktion, vor allem aber der Touristenverein "Die Naturfreunde". Doch die Arbeitervereine waren weit mehr; sie entstanden Ende des 19. Jahrhundert im engen Zusammenhang mit dem Erstarken der Sozialdemokratie und verstanden sich primär als Teil der Arbeiterkulturbewegung. Diese Vereine mußten sich notwendigerweise selbst organisieren, denn die Arbeiterschaft betrachtete sich als eigenständige politische und gesellschaftliche Kraft, die alle Lebensbereiche durchdrang, den Zusammenhalt und die Identität der Arbeiter stärkte, und durch gesündere Lebensformen einen Ausgleich zur Fabrikarbeit schuf. Von diesen Zielsetzungen her ist es konsequent, daß die Arbeitervereine sich - dank der internationalen Orientierung - scharf von den nationalistisch gesinnten deutschen Turnern abgrenzten, aber auch - aus proletarischem Bewußtsein - von den bürgerlichen und eher "unpolitischen" Sportlern. 1925 und 1931 wurden sogar eigene Arbeiterolympiaden durchgeführt. Bei dieser starken Bindung an sozialistische Lehre und Milieu verwundert es nicht, daß die politische Spaltung der Arbeiterbewegung in Sozialdemokratie und Kommunisten auch auf die Vereine durchschlug. 1928 wurden die Kommunisten aus dem Arbeiter-Turn- und Sportbund ausgeschlossen; im selben Jahr wurden auf sowjetische Initiative eigene "Olympische Spiele", die Spartakiaden, durchgeführt. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden die Turn- und Sportvereine der Arbeiter wie auch die anderen SPD- und KPD-nahen Organisationen verboten und zerschlagen. Die Sammel- und Suchaufrufe des Schloßbergmuseums im Vorfeld dieser Ausstellung haben überraschenderweise manche Objekte ans Tageslicht gebracht, die 1933 im Keller oder auf dem Dachboden versteckt worden und dann in Vergessenheit geraten waren, z. B. die Fahne der III.Abteilung (Hilbersdorf) der Freien Turnervereinigung Chemnitz Zwischen der Gründung des ersten Arbeiterturnvereins in Chemnitz im Jahre 1893 und dem gewaltsamen Ende 1933 liegen nur 40 Jahre, aber in der von der proletarischen Kultur stark geprägten Stadt Chemnitz hat diese dritte große Bewegung der Körperkultur eine ganz wesentliche (und in der Weimarer Zeit sogar eine tragende) Rolle gespielt. Chemnitz war eine der Hochburgen des deutschen Arbeitersports. Im Stadtgebiet entstanden zahlreiche Vereine des Arbeiter-Turn-Bundes (ab 1919 Arbeiter-Turn- und Sport-Bund) und der verschiedenen Einzelsportverbände. Der Großverein "Freie Turner-Vereinigung" breitete sich rasch im ganzen Stadtgebiet aus: vor 1914 gab es sieben Abteilungen, in den zwanziger Jahren sogar zwölf. Auch andere große Vereine entstanden in den Vororten und Stadtteilen, z. B. der Turnklub Altendorf oder der Turnverein Ebersdorf. Hinzu kamen die Einzelsportverbände (wie Naturfreunde, Arbeiterathleten) mit ihren zahlreichen Ortsgruppen in Chemnitz. Bei zwei Einzelsportverbänden, dem Arbeiterschachbund und dem Arbeiterkeglerbund war in den zwanziger Jahren sogar der Sitz der nationalen Zentrale in Chemnitz. Ein Höhepunkt des Chemnitzer Arbeiterturnens war die Ausrichtung des ersten sächsischen Arbeiterturnerfestes, das in Chemnitz 1910 auf der neuen Altendorfer Sportanlage stattfand. Viele äußeren Formen (Fahnen, Abzeichen und Urkunden) unterschieden sich nicht grundsätzlich von denen der bürgerlichen Vereine. Beneidet wurden die Arbeitervereine jedoch um ihre Spielmannszüge.
Unscheinbar, aber heute sehr selten, ist die Standortmarkierung für Freiübungen vom III. Sächsischen Arbeitersportfest 1928 in Dresden; jeder Arbeiter hatte selbstverständlich seinen vorbestimmten Platz auf der Festwiese. Der Unterordnungs- und Uniformitätsgedanke des Turnens war - trotz aller Distanz zum deutsch-nationalen Turnen - bei den Arbeitern ebenfalls präsent. |
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