Natursehnsucht und Technisierung 
 Sport in der Weimarer Republik
 
    
 
 
  Die Weimarer Zeit bündelte und stabilisierte das, was vor dem 1. Weltkrieg entstanden war. Sport wurde nun zu einer Massenbewegung. Ende der 20er Jahre waren im damaligen Stadtgebiet in ca. 100 Sportvereinen rund 30.000 Mitglieder organisiert.  
 

Staat und Stadt übernehmen Verantwortung 

Wenn damals manch alter Traum verwirklicht werden konnte, dann lag das zum einen an der neuen linken Mehrheit in der Chemnitzer Stadtverordnetenversammlung, zum anderen jedoch daran, daß nun die Sorge um die Volksgesundheit und um die Förderung des Sports als Aufgaben des Staates und der Stadt angesehen wurde. Der Artikel zur "Jugendpflege" in der Weimarer Verfassung von 1919 bot den Einstieg in die neue Rolle des Staates konkret: in die Möglichkeit. Vereinssport mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Die einschlägigen Reichsgesetze und -verodnungen wurden in den Ländern unterschiedlich umgesetzt; Sachsen tat sich dabei besonders hervor: Im Wohlfahrtsgesetz vor 1925 wurde Sportförderung zur Pflichtaufgabe von Reichsverbänden und Städten erklärt; das Wohlfahrtsministerium, die Ausschüsse und Beiräte sorgten für die Verteilung der Mittel.  

In Chemnitz war bereits 1920 als einer der ersten Städte Deutschlands das "Amt für Leibespflege" gegründet worden. Erhebliche Mittel wurden in den Sportstättenbau investiert. Zum einen förderte man den Ausbau von Vereinsplätzen, zum anderen errichtete oder erneuerte die Stadtverwaltung Sportanlagen und vergab sie dann an die Vereine. Die staatlichen Leitziele von 1919 (je Einwohner 3 m² Sport- und Spielplätze; wurden in Chemnitz dank intensiver Anstrengungen übertroffen: In den zwanziger Jahren stiegen die Werte 1,19 m² (1922) auf 2,22 m² (1925) und 3,2 m² (1929); insgesamt gab es damals 54 Sport- und Spielplätze.  

Die kommunale Aufwertung des Sports wurde am augenfälligsten bei den neuen Großanlagen. Nach dem Vorbild des Kölner Stadions entwickelten viele Städte Renommierprojekte. Der Grundsatzbeschluß der Chemnitzer Stadtverordnetenversammlung 1925 führte allerdings trotz zahlreiche Projekte nur zum Teilausbau der Südkampfbahn für das Landesturnfest 1930. Der 1928 begonnene Neubau des Stadtbads blieb wegen der Weltwirtschaftskrise stecken.  
 

Licht - Luft - Sonne  

Doch es wäre zu kurz gegriffen, in der Weimarer Zeit nur die Phase der Bündelung und Durchsetzung zu sehen, denn es fließt noch eine weitere, recht heterogene Strömung hinein, die zwar schon um die Jahrhundertwende entstanden war, doch nun erst zum Tragen kam; sie kann mit den Schlagworten wie "Licht - Luft - Sonne", "natürliches Leben", "Körperkult" und "Mythos Jugend" charakterisiert werden.  

Max Klemm 

Faltboot und Campingzelt machen es möglich, den Sport in noch unberührter Natur zu treiben und erlauben einen direkteren Kontakt des Körpers mit den Elementen als die mit starren Materialien gebauten Boote und Häuser. Rückkehr zur Natur - und zugleich zu den Anfängen des Boots- und Hüttenbaus!  

Entfremdung aufheben, neue Erfahrungen des eigenen Körpers machen: Wer dies ersehnte, griff nicht nur auf Traditionen zurück, sondern entwickelte auch neue Sportgeräte. 1924 wurde in der Rhön das Rhönrad erfunden.  
 

Die Gymnastik  

Der Ruf "Zurück zur Natur!" war in Deutschland besonders stark zu hören, aber aus anderen Ländern kamen Impulse, wie z. B. die schwedische Heilgymnastik. Diese wichtige nationale Tradition war bereits im 19. Jh. hierzulande (z. B. von Schreber) rezipiert und durch seelische Aspekte und künstlerische Elemente erweitert worden. Doch erst in den 20er Jahre kommt die Gymnastik in Deutschland voll zum Tragen; in Sachsen verbreitete sie sich rasch.
 
Nicht nur diese Form der Gymnastik machte damals von sich reden. Einen ganz eigenen Weg ging die facettenreiche künstlerische Gymnastik- und Tanzbewegung, die auch z. T. im Turnen und Sport integriert wurde (z. B. "Laban-Sprung", "Bode-Schwung"). Tanz und Gymnastik wurden - dies zeigt auch das Beispiel Chemnitz sehr deutlich - weniger durch Vereine, sondern vor allem durch private Gymnastik- und Tanzschulen getragen. Diese neue (und zukunftsweisende) Form der freiberuflichen und unternehmerischen Tätigkeit bot Frauen besondere Chancen. Frau Wolf, Absolventin der Dora-Munzer-Schule Leipzig, praktizierte von 1930 bis in die 80er Jahre in Chemnitz. Aus der Erstausstattung hat sich eine Personenwaage sowie den Koffer mit Tamburin und Schlegel für die "rhythmische Gymnastik" erhalten.  

Schallplatte zur ZimmergymnastikDie Gymnastik bediente sich auch des damals modernsten Mediums und wurde als Rundfunkgymnastik populär. So gibt es z.B. einen frühen Werbefilm der deutschen Rundfunkanstalten, der (kurioserweise) noch als Stummfilm produziert werden mußte. Auch nach Schallplatte und Grammophon konnte man Zimmergymnastik treiben; auf dem Plattenumschlag waren die Übungstexte nachzulesen.  

Die am meisten diskutierte Form des "naturnahen Lebens", die Freikörperkultur (FKK), wurde auch in Chemnitz gepflegt. Der später als Gymnastiktrainer des RC Diamant bekannt gewordene Max Klemm hatte bereits um 1900 an Körperschönheitswettbewerben teilgenommen; er betrieb in den 20er Jahren ein Luftbad am Eibsee in Euba. Er griff auf die Ideen von Hans Suren zurück (Surenschurz) und posierte für Nacktaufnahmen, welche für die Reinheit und Schönheit der "Lichtkämpfer" und "Sonnenanbeter" werben sollten. Licht und Luft - danach sehnten sich viele. Wer diese Bedürfnisse nicht unter freiem Himmel befriedigen konnte, der konnte z. B. eine elektrische Höhensonne einschalten, d. h. ein industriell gefertigtes Gerät, mit dem in Heilpraxen oder in der eigenen Wohnung ein Stück Naturkraft-Ersatz verfügbar wurde.  
 

Neuerungen  

Neue Techniken wurden nicht nur zur Popularisierung des Sports und zur Körperheilung eingesetzt, sondern auch zur Verbesserung der Leistung und zur Verwissenschaftlichung des Trainings. FilmkameraZwar wurden schon seit der Jahrhundertwende Fotoaufnahmen von Sportlern analysiert, doch nun, mit der Filmkamera, konnten die Bewegungsabläufe sehr viel leichter und genauer studiert werden. Andere Geräte wurden speziell für den Sport entwickelt, wie z. B. zum Messen der Atemstärke oder zur Prüfung der Beinkraft. Solche Erfindungen wurden nicht nur zur Verbesserung der Leistung eingesetzt, sondern auch zur Sondierung von Begabungen der Jugendlichen. Verwissenschaftlichung des Sports: das heißt auch, die jungen Menschen zu vermessen, nach Körper- und Leistungsnormen zu klassifizieren und dann gegebenenfalls auszuwählen und zu verplanen.  

Zum Sport in dieser Zeit gehören auch folgende Themen:  

- der Deutsche Reichsausschuß für Leibesübungen (DRA): der neue Dachverband der "bürgerlichen Vereine", der erstmals Turner und Sportler zusammenfaßte,  

Reichssportabzeichen
- das damals neu eingeführte Deutsche Sportabzeichen,  

- die Neuerungen im Schulturnen, das von der Gymnastik und Körperkultur beeinflußt wurde und sich nun stärker an der individuellen Persönlichkeit orientierte,  

- der Betriebs- und Behördensport (Polizei, Reichsbahn, Post),  

- der ersten Chemnitzer Olympiateilnehmer (Amsterdam 1928): der Radsportler Gerhard John vom R.C. Diamant.  

Wenn man von den "Goldenen 20er Jahren" spricht, dann gilt das in Deutschland und speziell in Chemnitz auch für Sport und Körperkultur. Wir begegnen einer offenen und neugierigen Einstellung zum Körper, zu seinen Ausdrucksformen und zu seiner Leistungskraft wie nie zuvor. Nacktbaden und wissenschaftliche Körperanalyse sind zwei Seiten dieser Medaille. Außerdem waren politischer Wille, Medieninteresse und öffentliche Meinung dem Sport und der Volksgesundheit gegenüber sehr positiv eingestellt, wie der Sportstättenbau und die Radiogymnastik belegen.  
 

Wehrkraft und Zivilationskrititk  

Doch zumindest ein Aspekt des damaligen Sportbetriebs erscheint uns aus heutiger Sicht bedenklich. "Deutsche Kraft muß siegen" - diese Losung gab der R.C. Diamant in Gablenz im Jahre 1926 bei seiner Gründungsveranstaltung aus. Solche national-chauvinistischen Töne, die wir heute allzugern als Entgleisungen der Nazizeit relativieren wollen, waren ein verbreitetes Grundgefühl deutscher Turner und Sportler. Mehr noch: Da das deutsche Reich nach dem Willen der Sieger des ersten Weltkriegs nur sehr eingeschränkt eine Wehrmacht aufbauen durfte, bot sich der Sport als "Wehrersatz" an ("Sport ist Kampf"). Von manchen wurden Turnen und Sport auch gezielt eingesetzt, um die "Wehrhaftigkeit des deutschen Volkes" zu sichern und den ersehnten Wiederaufbau der Wehrmacht im Stillen vorzubereiten.  

Das traf sich gut und verschmolz leicht mit der zivilisationskritischen Grundstimmung der 20er Jahre. Der Ruf "Zurück zur Natur!" wurde ja in diesen Jahren begleitet von einer Flut polemischer bis apokalyptischer Schriften gegen die Großstadt, gegen die Unübersichtlichkeit der Demokratie, gegen die Macht des Großkapitals. Wie vor 1914 der Krieg als reinigendes Stahlgewitter von manchen herbeigesehnt worden war, so richteten sich nun die Hoffnungen auf den Sport: Das Sporttreiben sollte dem Jugendlichen "die dummen Gedanken" austreiben, und die ganze kranke Gesellschaft von den "negativen Auswüchsen" befreien - sogar den "Untergang des Abendlandes" aufzuhalten, traute man dem Sport zu! 

 
 
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