Wie das Chemnitzer "Heilige Grab"
erhalten wurde

Umsetzungen, Restaurierungen

chronogogischer Überblick
das Gedicht von 1668
Restaurierung 1995 -2001

 
 

chronologischer Überblick

Aufstellungen und Restaurierungen des Heiligen Grabes
 
 
 
1480/90 Erstaufstellung in der Chemnitzer Stadtkirche St. Jakobi
nach der Reformation hinter den Altar geschoben und verhüllt
1688 abgebaut und auf dem Sängerchor abgestellt (siehe Gedicht)
17. Jh. ff.  Zahlreiche Graffiti von Chorknaben
1844  Übergabe (mit Zustimmung des Chemnitzer Rates) zur "Bewahrung und Sicherung vor weiterer Zerstörung" an die Sammlung des Sächsischen Altertumvereins in Dresden (Palais im Großen Garten).
1875 Rückgabe nach Chemnitz in die Ortsgeschichtliche Sammlung des neu gegründeten Vereins für Chemnitzer Geschichte.
1908 (1.) Restaurierung (erste belegte Restaurierung)
1909 Aufstellung in der Ortsgeschichtlichen Sammlung des Vereins für Chemnitzer Geschichte im neuen König-Albert-Museum.
1930  (2.) Restaurierung (umfassend und ergänzend) durch das Landesamt für Denkmalpflege in Dresden (Restaurator Puckelwarz).
1931 Aufstellung im neuen "Museum für Stadtgeschichte" auf dem Schloßberg.
1943 Abbau und Auslagerung im Erzgebirge
1945 Aufbrechen des Auslagerungsdepots; Rücktransport ins Schloßbergmuseum.
1950-53 Wiederaufbau im Schloßbergmuseum (im verlängerten Kreuzgang) durch die Hausmeister der Städtischen Museen unter Anleitung der Dresdner Restauratoren.
1965 Umsetzung zugunsten der Stadtgeschichtlichen Ausstellung (800-Jahr-Feier).
60/70er Jahre (3.) Restaurierung: u.a. Behandlung mit sehr giftigen Holzschutzmitteln.
1984 Abbau nach der Schließung des Museums wegen Umbaumaßnahmen. Einlagerung auf der Orgelempore der Jakobikirche.
1995 Abschluss eines Vertrages zwischen Kirchgemeinde und Stadt Chemnitz; Bereitstellung eines hohen Fördermittelanteils (bis 85 %) durch das Landesamt für Denkmalpflege; Transport des zerlegten Grabes (unter Giftschutz-Bedingungen) nach Dresden in das Landesamt für Denkmalpflege.
1995/96 Voruntersuchung durch eine Restauratorengemeinschaft unter Ingolf Pönicker;
(4.) Teilkonservierung und Festlegung der erforderlichen Restaurierungsmaßnahmen
1997/98 Ausschreibung durch die Denkmalschutzbehörde der Stadt Chemnitz; Auftragserteilung an eine Arbeitsgemeinschaft von Diplomrestauratoren: Jörg Kestel mit Grit Stamm, Carry Bendin und Michael Lange.
Herbst 1998 Transport von Dresden in die Ateliers der Restauratoren
1998-2001 (5.) Restaurierung durch die Arbeitsgemeinschaft
Sommer 2001 Wiederaufbau im Schloßbergmuseum Chemnitz in der Abteilung "Sakrale Kunst" im ehemaligen Refektorium
3. 10. 2001 Festveranstaltung zum Chemnitzer Heiligen Grab; das Heilige Grab ist wieder im Museum zu besichtigen.

 Das Gedicht von 1668
1668: Die Entscheidung für den Erhalt

Im 17. Jahrhundert wurde in der Jakobigemeinde erwogen, das Heilige Grab als Werk abergläubiger Verehrung zu beseitigen. Doch 1668 beschloss man, es zu belassen und fasste die Überlegungen in folgende lateinische Distichen zusammen:

En tibi, spectator, Jesu sculptura sepulchri,
     Quod Papae coluit religiosa cohors.
Non colimus: toleramus, digna hac sede locamus,
     Quod docet indoctos dogmata sancta greges,
MartInI per nos resonat DoCtrIna LVtherI
     InfernI sane porta ferIre neqVIt.

(Die beiden letzten Zeilen bilden ein "Chronogramm": Wenn man die fett gedruckten Buchstaben als römische Ziffern addiert, dann erhält man die Jahreszahl 1668.)

deutsche Übertragung:

Siehe, Betrachter, die Skulptur des Grabes Jesu,
     welche die religiöse Gefolgschaft des Papstes verehrte.
Wir verehren es nicht: Wir tolerieren es - und geben diesen würdigen Platz
     einem Werk, das die unbelehrten Herden die heiligen Dogmen lehrte;
aus uns jedoch spricht die Lehre Martin Luthers,
     welche die Pforten der Hölle nicht überwinden kann.

 Die Restaurierung 1995 -2001
(Text: Dipl.-Rest. Jörg Kestel)
Bisheriger Zustand und Aufgabenstellung

Das Heilige Grab lagerte seit 1983 in seine 150 Einzelteile zerlegt und in Kisten verpackt an verschiedenen Orten. Bei der Voruntersuchung im Zuge der 1995 dringend notwendig gewordenen Konservierung der Farbfassung durch eine Restauratorengruppe um Dipl.-Rest. Ingolf Pönicker wurden folgende Schäden festgestellt:

Lockerung der weitestgehend ursprünglichen Farbfassung, außerdem zahlreiche Verluste dieser Fassung

Stabilitätsverlust der Holzsubstanz infolge älteren (inaktiven) Insektenbefalls

durch häufigen Ab- und Aufbau geschädigte Holzverbindungen und Verschraubungen

Schadstoffbelastung mit DDT infolge einer Holzschutzbehandlung in der DDR-Zeit mit hochgiftigem Hylotox 59. Laboruntersuchungen ergaben Konzentrationen von bis zu 1g pro kg Holz

starke Verschmutzung der Oberfläche

Beeinträchtigung der Farbigkeit durch gealterte Reste von Konservierungsmitteln früherer Restaurierungen (1909 und 1930). Diese Reste tragen heute zusätzlich zur Lockerung der Fassung bei.


Die Maßnahmenplanung sah vor,

den weitestgehend ursprünglichen Bestand zu konservieren,

die Schadstoffbelastung auf für den Menschen gefahrlose Werte zu reduzieren,

die Oberfläche in einer Weise zu reinigen und spätere Überzüge so zu reduzieren, daß die Farbigkeit der Fassung wieder erlebbar wird, aber die ästhetisch wichtige und zur Alterung gehörende Patina erhalten bleibt,

plastische und farbliche Fehlstellen zurückhaltend durch wenige Ergänzungen und geringe Retuschen in das Gesamterscheinungsbild so zu integrieren, daß keine gravierende Störung mehr eintritt.
 

1998 nahm die neu gebildete Arbeitsgemeinschaft mit den Diplom-RestauratorInnen
Carry Bendin, Grit Stamm, Michael Lange unter Leitung von Dipl.-Rest. Jörg Kestel die Arbeiten auf.
Durchgeführte Maßnahmen

Die Fassung wurde erneut mit Glutinleimen gefestigt, da nach der damals 3 Jahre zurückliegenden Notkonservierung wieder Fassungslockerungen an allen Bauteilen eingetreten waren. Damit einhergehend erfolgte eine trockene Oberflächenreinigung, bei der grobe schadstoffbelastete Staubauflagen entfernt wurden.

Als erster Arbeitsschritt der Dekontaminierung wurden die DDT-Ablagerungen an der Oberfläche und in der Fassung mittels Lösungsmittelkompressen entfernt. Nach der ästhetischen Oberflächenreinigung und partiellen Festigung extrem wurmgeschädigten Holzes mit einer Kunstharzlösung wurde der zweite Schritt der Dekontaminierung durchgeführt. Da Lösungsmittelanwendungen ein erneutes Austreten des Schadstoffs bewirken, wurde nach einer geraumen Trocknungszeit eine wässrige Nachreinigung vorgenommen, die letztlich die DDT-Oberflächenkonzentration fast auf Null reduzierte. Das DDT bleibt im Inneren des Holzes weiterhin zum Schutz vor erneuten Insektenbefall erhalten.

Mit den Holzfestigungsmaßnahmen wird nur eine Stabilisierung der Oberfläche des geschädigten Holzes erreicht; daher mußte die Standsicherheit des Heiligen Grabes mit Hilfe einer Stützkonstruktion im Inneren des Grabgehäuses und vielen zusätzlichen Verbindungs- und Stützbeschlägen wieder hergestellt werden.

Bei der Integration plastischer und farblicher Fehlstellen wurde, wie vorgesehen, so vorgegangen, dass ein weitestgehend ursprünglicher Zustand (mit geringeren, aber unwiederbringlichen Verlusten) präsentiert wird. Nur störende Verluste kleiner Schnitzwerkteile an der Architektur wurden ergänzt und die an Fassungsfehlstellen sichtbar gewordene weiße Grundierung mit Aquarellfarben retuschiert. Die Holzergänzungen erhielten keine Fassung, sondern wurden zur besseren Integration in einem dunkleren Holzton eingefärbt.

Neu gewonnene Erkennnisse

Durch die Symmetrie und Austauschbarkeit sich ähnelnder Bauteile kam es in früheren Aufstellungen immer wieder zu neuen Kombinationen der Einzelteile. Beim jetzigen Aufbau sollte die ursprüngliche Montage der Bauteile wiederhergestellt werden. Dazu wurden die teilweise vorhandenen ursprünglichen Passmarken identifiziert und zugeordnet. Nicht erhaltene Passmarkenbezüge wurden durch die Untersuchung ursprünglicher Befestigungsspuren oder durch ikonographische Zusammenhänge rekonstruiert. Die neue Anordnung des Figurenprogramms basiert in gut nachvollziehbarer Weise auf dem Johannesevangelium, wobei sich gleichzeitig ein sinnvolles Ordnungssystem der Passmarken ergibt.

Auch bei der Deutung der Inschrift erbrachte die Restaurierung eine wichtige neue Erkenntnis. Es war bezweifelt worden, daß die Tafel mit dem Namenszug zum Heiligen Grab gehört; doch durch eine technologische Untersuchung konnte sie zweifelsfrei einem authentischen Bauteil zugeordnet werden. Da die Tafel sich ursprünglich nicht sichtbar im Inneren des Grabgehäuses befand, muß sie wahrscheinlicher als eine Autoreninschrift als die eines Stifter gelesen werden.

Durch die mit der Restaurierung einhergehende kunsttechnologische Untersuchung sind besondere Formen von oftmals selten erhaltenen Papierapplikationen entdeckt und dokumentiert worden. Weitere neugewonnene Erkenntnisse könnten zukünftig bei der Zuordnung des Fassmalers zu bestimmten Werkstatttraditionen behilflich sein. Sie bieten den Ansatz für zukünftige weiterführende Forschungsarbeit.


 
 
 
Bildergalerie
Gesamt, Details, Archiv
Vergleich
Kunstgeschichte
Beschreibung
Bildprogramm,
Bedeutung,
Vergleich
Objektgeschichte
Zeittafel
Gedicht1668
Restaurierung
damals und heute
Typen, Verwendung,
Abschaffung, Fremdheit
Schloßbergmuseum
Veranstaltungen, Publikationen
Home  -   Seitenbeginn