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Ihre Verwendung in der Liturgie und Volksfrömmigkeit Warum sie aus den Kirchen verschwanden Warum sie für uns fremd geworden sind |
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Unter dem Begriff "Heiliges Grab" verstand man
im Mittelalter zwei völlig unterschiedliche Traditionen:
1) die Erinnerungsbauten an die Grabeskirche in Jerusalem (unter Verwendung deren typischer Bauform). Jerusalempilger z. B. stifteten solche Gebäude als Dank für die glückliche Heimkehr von der Pilgerschaft. Christen, die nicht ins Heilige Land reisen konnten, errichteten derartige Bauten als Ersatz für die Pilgerfahrt. 2) Gräber (in Sarkophag- oder Schreinform, aus Stein oder Holz), in denen eine Christusfigur lag. Diese Gräber wurden vor allem zwischen Karfreitag und Ostermorgen in die Liturgie einbezogen; sie spielten eine wichtige Rolle in der Volksfrömmigkeit des späten Mittelalters. Diese beiden Traditionen mischten sich in der Praxis bunt und vielfältig. |
Das Chemnitzer Heilige Grab zeichnet sich
dadurch aus, dass es die zweite Tradition in der reinsten und am höchsten
entwickelten Variante verkörpert: den transportablen Prunkschrein.
Es ist daher ein herausragendes Zeugnis der spätmittelalterlichen
Frömmigkeit.
Seine Bedeutung steigt noch erheblich durch den Umstand, dass in Europa nur noch ganz wenige Beispiele dieses einst weit verbreiteten Typs erhalten sind. Nach dem derzeitigen Stand des Wissens gibt es nur noch zwei vergleichbare mobile Prunkschreine: in Zwickau und in Esztergom/Ungarn im Christlichen Museum (ursprüglich aus Garamszentbenedek). |
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Diese Schreine wurden in der Liturgie der
Karwoche benutzt, und zwar von Karfreitag nachmittag (Kreuzabnahme)
bis Ostermorgen (Auferstehung). Sie wurden auf Rollen - in Esztergom noch
erhalten - an eine zentrale Stelle der Kirche gebracht; während des
restlichen Jahres waren sie entweder in einer Seitenkapelle zu sehen oder
in einer Kammer (zusammen mit den anderen liturgischen "Requisiten", wie
z.B. Palmesel) untergebracht.
Am Ende der Karfreitags-Liturgie wurde häufig eine Christusfigur mit beweglichen Armen vom Kruzifix abgenommen und in das Grab gelegt. Frühmorgens am Ostersonntag nahm man sie wieder heraus, nun geschmückt mit der Fahne des Auferstandenen. Es gab auch Christusfiguren, die speziell für das Heilige Grab geschaffen worden waren. Bei einigen von diesen war an der Stelle des Herzens eine Metallkapsel eingesetzt, in der man von Karfreitag bis Ostersonntag die geweihten Hostien aufbewahrte. |
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Warum haben so wenige dieser wertvollen und aufwändigen
Kunstwerke bis heute überdauert? Darauf gibt es ganz unterschiedliche
Antworten:
Die Reformatoren wandten sich gegen alle Vergegenständlichungen des Gottesdienstes. (Dennoch sind die beiden einzigen deutschen Schreine im lutherischen Kernland Sachsen erhalten!). In vielen katholischen Gebieten führte die Aufklärung im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert zum Verbot solcher Formen der Liturgie und Volksfrömmigkeit. Aber auch die Besonderheiten dieser Prunkschreine (Mobilität, Größe, filigrane Holzkonstruktion, hochspezialisierte Verwendung) erwiesen sich oft als Nachteile bei der Aufbewahrung und Erhaltung. |
oder:
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Das Schloßbergmuseum erschließt sowohl die kunsthistorische, als auch die frömmigkeitsgeschichtliche Dimension dieses bedeutenden Werkes. Doch ebenso muss die Fremdheit dieses Exponates ernst genommen werden. Geschichte kann uns ja auch als Spiegel für die Gegenwart dienen, der eigene Einseitigkeit und Schwächen offenbart. |
1) Warum bewerten wir heute die "Requisiten" der mittelalterlichen
Liturgie so unterschiedlich?
- Das Jesus-Kind: Die Krippe wurde weltweit zu einem im privaten und kirchlichen Raum sehr beliebtes Element der Volkskultur. - Jesus am Kreuz: Das Kruzifix ist das hochrangigste religiöse Symbol der Christen. - Der Leichnam Jesu: Die Heiligen Gräber sind sang- und klanglos aus den Kirchen verschwunden - Jesus auf dem Palmesel: Darüber lächelt man heute. - Christi Himmelfahrt: Wer heute eine Christusfigur in die Gewölbe der Kirche hinaufziehen würde, würde ziemlich Anstoß erregen. |
2) Karsamstag: Schaulust oder Schmucklosigkeit?
Das prunkvolle "Heilige Grab" zeigt uns, dass unsere heutige Art, den Karsamstag zu begehen, diametral der des Spätmittelalters entgegengesetzt ist. Für uns muss sich Trauer in Stille, Schmucklosigkeit, Askese ausdrücken - vor 500 Jahren wollte man auch dem Karsamstag sein eigenes Profil geben und scheute sich nicht, eines der prächtigsten kirchlichen Kunstwerke gerade für diesen Tag zu schaffen. |
3) Wie stehen wir zur öffentlichen Verehrung eines Leichnams?
Die Verdrängung der Heiligen Gräber aus den Kirchen ist nicht bloß eine Folge von theologischen und intellektuellen Auseinandersetzungen (Reformation bzw. Aufklärung). Sie spiegelt auch einen langfristigen zivilisationsgeschichtlichen Prozeß wider: die Verdrängung des Todes und insbesondere von Leichen aus der Öffentlichkeit. |