Betriebssportler und "Diplomaten im Trainingsanzug" Sport in der D D R 
 
    
 
 
  Schwierige Anfänge  

Drei Grundgefühle bestimmten nach Kriegsende die Einstellung zum Sport. Zunächst dominierte der Wille der Sieger zur Entnazifizierung und Umerziehung der Deutschen. Der von den Nazis zu Propaganda und Kriegsvorbereitung mißbrauchte Sport war den Alliierten suspekt. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 2 vom 10. Oktober 1945 wurden alle faschistischen Organisationen verboten, darunter auch der Reichsbund für Leibesübungen mit all seinen Unterorganisationen; zuvor hatte bereits der Befehl Nr. 2 der sowjetischen Militäradministration vom 16. Juni 1945 die Vereine aufgehoben. Einen Neubeginn brachte die Kontrollratsdirektive Nr. 23 vom 17. Dezember 1945: nun konnten - nach Prüfung und Genehmigung durch die alliierten Stellen - nichtmilitärische Sportorganisationen neu gegründet werden, allerdings nur für den Bereich einer Stadt oder eines Kreises. Anfang 1946 waren bereits 25 Sportgemeinschaften registriert, 1948 61 Sportgemeinschaften mit 11.000 Mitgliedern.  

Die Wiederbelebung des Sports stand in der sowjetischen Besatzungszone unter einem relativ günstigen Stern, weil dem Sport in der Arbeiterbewegung und im sozialistischen Menschenbild eine wichtige Rolle zukam. In Chemnitz ließ sich an der starken Tradition der 1933 verbotenen Arbeiter-Turn- und Sportvereine anknüpfen. Zudem sah die sowjetische Führung im Sport eine gute Möglichkeit, um der jungen Generation eine neue Orientierung zu geben. Militäradministration und Sportleitung der Besatzungsmacht unterstützen daher die antifaschistischen Sportler; die neuen Sportstrukturen wurden nach sowjetischem Vorbild eingerichtet, z. B. Betriebssportgemeinschaften.  

Die dritte große Triebkraft der ersten Nachkriegsjahre war die Begeisterung der Menschen. Sport zu treiben und vor allem große Sportereignisse zu besuchen, das zählte zu den Lichtblicken im beschwerlichen Nachkriegsalltag.  

Vordringlich war, die Sportstätten wieder benutzbar zu machen. Die 40 zerstörten Turnhallen überforderten die Kraft der ersten Nachkriegsjahre, aber die Sport- und Spielplätze konnten - insbesondere durch die freiwilligen Arbeitseinsätze im Rahmen des Nationalen Aufbauwerks - rasch wieder hergerichtet werden. Die Schwimmer waren die ersten, die mit dem kaum beschädigten (und mit einer nicht mehr verkehrsfähigen Dampflok beheizten) Reichsbahnbad im Frühjahr 1946 bereits über eine wettkampftaugliche Sportstätte verfügen konnten. Ein Jahr später konnte in der großen Schwimmhalle im Stadtbad wieder trainiert werden. 1947 war auch der große Bombentrichter in der Südkampfbahn verfüllt; die Leichtathleten feierten 1948 mit den Ostzonenmeisterschaften (mit 12.000 Besuchern) ein erstes sportliches Großereignis. Besonders rührig waren auch die Boxer, die am 9. Februar 1947 im ausverkauften Kino Luxor ihren öffentlichen Sportbetrieb gestartet hatten; weitere Kämpfe fanden in Zirkuszelten oder umgebauten Sportstadien statt.  

Die neue Radrennbahn 

In einer Sportstadt wie Chemnitz blieb es nicht lange bei der Trauer um die verfallene und teilweise zerstörte Radrennbahn Altendorf. Die Radamateure und Profis zogen ab 1947 wieder ihre Runden um den Schloßteich oder auf den Aschenbahnen der Sportplätze. Die Straßen- und Bahnradsportler sprinteten auch um Naturalien-Preise: um Würste, Backwaren oder um einen Eimer Marmelade. 1948 beschloß die Stadtverordnetenversammlung den Neubau einer Radrennbahn mit Zementbelag; der Radsport zählte ja zu den führenden Chemnitzer Sportarten der Vorkriegszeit (z. B. erster Olympiateilnehmer 1928, erste olympische Goldmedaille 1936); außerdem war er im Dritten Reich etwas weniger belastet als z. B. Motorsport oder Turnen. Nun fuhren also die Trümmerbahnen hinaus zur Reichenhainer Straße, wo sie insgesamt 160.000 m³ Schutt als Fundament für das 333,3 m lange Oval abluden(Film). Zu Zeiten, da Sportfelder zum Gemüseanbau genutzt werden mußten, da die Hausruinen beräumt und die Industrieanlagen demontiert wurden, galt die am 26. Oktober 1950 eröffnete Radrennbahn in Chemnitz nicht nur bei den Sportfans als erstes sichtbares Zeichen des Wiederaufbaus. Dieses neue Stadion verdanken wir nicht zuletzt dem unermüdlichen Bemühen von Rolf Seyfarth, dem ersten Wirtschaftsstadtrat (LDPD) der Nachkriegszeit und späteren Chefredakteur des Sächsischen Tageblattes. Dieser engagierte Freund des Radsports hat auch einen Film darüber selbst gedreht und geschnitten.  
 

Volleyballtrikot von Günter Zinram, 1950Das Volleyballtrikot von Günter Zinram erinnert an die  bunte Vielfalt und Spontaneität der frühen Nachkriegsjahre: Als 1950 die ersten Chemnitzer diese Sportart ausprobierten, da hatten sie zwar aus Wochenschaufilmen eine grobe Vorstellung, sie kannten jedoch keine Regeln, ja nicht einmal den Namen! Doch es machte Spaß, den Ball über's Netz zu schlagen und zu verhindern, daß er den Boden berührt. Ein Trikot gab es damals nur auf Zuteilung; immerhin hatten die organisierten 
Betriebssportler hierfür besondere Möglichkeiten. Doch auch sie mußten die Farbe nehmen, die gerade da war. Um dennoch ein geschlossenes Mannschaftsbild zu erreichen, "versorgte" man sich die passenden Buchstaben aus einem "befreundeten" Stickereibetrieb.  
 

Die 50er und 60er Jahre  

Die DDR maß dem Sport hohe Bedeutung zu und nahm ihn in die neue Staatsverfassung (Artikel 25) auf. Ziele des sozialistischen Sports waren: "Freude, Frohsinn, Entspannung, allseitige Entwicklung des Menschen, Gesundheit, Stärkung des Ansehens unserer Republik, bereit zur Arbeit und zur Verteidigung der Heimat" (kleine Enzyklopädie Körperkultur und Sport, 1960). Zum "allseitig gebildeten sozialistischen Menschen" gehörte unverzichtbar auch die sportliche Betätigung. In der ersten Phase der DDR-Sportpolitik wurde demnach vor allem der Breitensport gefördert. Dies spiegelt auch die 1958 von Walter Ulbricht ausgegebene Losung wieder:"Jeder Mann an jedem Ort - in der Woche einmal Sport". Der Parteivorsitzende ließ sich auch gerne fotografieren, wenn er selbst, z. B. beim Volleyball, diesen Grundsatz befolgte.  

Zu den neuen Sportstrukturen der DDR zählten die Sportgemeinschaften (SG) und die Betriebssportgemeinschaften (BSG), von denen einige Wimpel und Mitgliedsbücher ausgestellt sind. 1959 gab es in Karl-Marx-Stadt 50 Betriebssportgruppen und 1 Hochschulsportgruppe (HSG) mit insgesamt 14.000 Aktiven. 1951 wurden auf Arbeitsbereiche bezogene Sportvereinigungen (SV) ins Leben gerufen. Zu den 18 Sportvereinigungen zählten u. a. der SV Wismut, der SV Dynamo (Volkspolizei), SV Lokomotive (Reichsbahn) und SV Vorwärts (NVA). Sie waren zunächst im 1948 gegründeten Dachverband "Deutscher Sportausschuß" (DS) mit seinen Sektionen (Fachverbänden bzw. -ausschüssen) organisiert; er wurde 1957 vom Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) abgelöst. Ein weiterer wichtiger Organisationszweig des Sports wurde 1952 ins Leben gerufen: die "Gesellschaft für Sport und Technik" (GST), in der vor allem die Sportarten betrieben wurden, denen man eine militärische Bedeutung beimaß, wie Flugsport, Fallschirmspringen und Schießsport. Einige Sportarten wie Tanzen und (anfänglich) Wandern und Bergsteigen wurden unter dem Dach des Kulturbundes betrieben. 

Auch die Sportartikelproduktion lief in den 50er Jahren wieder an, z. B. im VEB Sportgerätewerk.

EislauftrainingDie Gymnastik, Turn- und Sportbekleidung von Jungen und Mädchen erinnert an das Bemühen um den Nachwuchs - eine der Stärken des DDR-Sportsystems. Der Talentsuche und -förderung dienten die 1952 eingeführte Kinder- und Jugendsportschulen sowie die dazugehörigen Internate. Intensive Untersuchungen der Vorschulkinder flankierten dieses System ebenso wie die Leistungsanreize durch die "Kinder- und Jugendspartakiade" (seit 1965).  

Im Sportstättenbau bemühte man sich vor allem um bessere Bedingungen für das Rollschuh- und Eislaufen. 1958 wurde die Kunsteisbahn eingeweiht, aus der dann 1965 die überdachte Eissporthalle wurde; dieser Komplex wurde 1973 durch die Eisschnellaufbahn ergänzt.  
 
 
Die Medaillenschmiede  

Die 50er Jahre brachten eine ganz neue Form des Sportkonsums: am heimischen Fernseher. Die Mattscheibe wurde unverzichtbar, denn die Sportler traten an vielen Orten der Welt auf, die dem DDR-Bürger als Sporttouristen verschlossen blieben. 
Trainingsanzug der DDR-NationalmannschaftSo erinnert der Trainingsanzug der Nationalmannschaft  an die internationale Präsenz des DDR-Sports. Die Sieger wurden nicht nur mit Medaillen und Titeln geehrt, sondern genossen auch manche kleinen Privilegien im Alltag. Dieses äußerlich begehrenswerte Leben mußten die Sportler durch hartes und wissenschaftlich fundiertes Training erkaufen. Und manche mußten Pillen schlucken, die - wie wir heute wissen - alles andere als harmlose Aufbaupräparate waren. Die Rolle als "Diplomaten im Trainingsanzug" und die günstigen Fluchtmöglichkeiten in den Westen veranlaßten die Sportführung und den Staatssicherheitsdienst zur intensiven Kontrolle der Spitzensportler. Auf den Radsportler Wolfgang Lötsch waren z. B. 50 informelle Mitarbeiter der Staatssicherheit angesetzt. Auch ein Spitzensportler wie er fand keine Gnade bei politischem Fehlverhalten.  

Sportforschung, Trainerausbildung, Geräteproduktion, Sportmedizin - das waren die Garanten des sportlichen Erfolgs, der von der DDR-Führung seit den 60er Jahren zu einem wichtigen außenpolitischen Ziel wurde. Die Systemkonkurrenz mit dem Kapitalismus sollte wenigstens im Sport gewonnen werden. Karl-Marx-Stadt als eine der Sportzentren der DDR hat seinen Teil dazu beigetragen. Am 2. Februar 1963 fusionierten SC Motor und SC Wismut zum Sportclub Karl-Marx-Stadt (SCK), dem durch die DDR-Sportführung Turnen, Radsport, Schwimmen, Eislauf, Gewichtheben, Leichtathletik und Boxen (bis 1973) als Arbeitsbereiche zugewiesen waren. Der SCK wurde so zu einer "Medaillenschmiede". Insgesamt waren es 374 Medaillen, die vom SCK in 26 Jahren errungen wurden.  

Gerd BonkEinen dieser Spitzensportler, Gerd Bonk hat  1976 den Weltrekord im Superschwergewicht (Stoßen: 252,2 kg) errungen.  

Auch außerhalb des SCK wurden herausragende Leistungen vollbracht,  z. B. vonder Weltmeisterin im Fallschirmspringen, Maria Weber. In der Liste der Sieger darf auch ein anderer Verein nicht fehlen, der Fußballclub Karl-Marx-Stadt (FCK), der in der ersten Saison nach seiner Gründung (1966/67) die DDR-Meisterschaft errang.  

Die Künstler hatten ihren Anteil zur gesellschaftlichen Wertschätzung des Sports beizusteuern. Zahlreiche Wettbewerbe und Einzelaufträge haben in den 70er und 80er Jahren zu einer sonst wohl selten erreichten Dichte von Sport-Kunst geführt.  Aus Karl-Marx-Städter Grafik-Ateliers (z. B. von Manfred Gottschall) kamen auch viele preisgekrönte Sportbriefmarken.  
 

Breitensport und Massensport  

Der Breitensport bot in den letzten DDR-Jahrzehnten ein zwiespältiges Bild. Zum einen stand nun der Spitzensport im Zentrum des Parteiinteresses; zahlreiche Sportarten wurden nicht mehr gefördert. Das Eishockey z. B. wurde ab den 70er Jahren als nicht förderwürdig bezeichnet und DDR-weit auf wenige Vereine reduziert. Andere Sportarten litten unter Materialmangel; die Bergsteiger z. B. mußten sich ihre Kletterhilfen selbst anfertigen.  

Auf der anderen Seite schafften es junge Sportarten wie Judo, Karate oder Triathlon, sich trotz widriger Bedingungen und ohne große öffentliche Förderung zu entfalten. Auch die Trendsportarten des Westens machten nicht am Eisernen Vorhang halt. "Aerobic" wurde als "Pop-Gymnastik" betrieben, für "Jogging" stand der Slogan "Lauf Dich gesund".  

Massenlauf in Karl-Marx-StadtGerade beim Laufen entstanden neue Formen des Massensports - zum Teil von unten, zum Teil staatlich organisiert. Die Schulen veranstalteten im Stadtzentrum jedes Jahr Großstaffelläufe; 1962 z. B. nahmen 20.000 Schüler an dieser Veranstaltung teil. Markenzeichen der Laufbewegung wurde die "Karl-Marx-Städter Rose", eine in den 80er Jahren eingeführte und rasch akzeptierte 50 km-Wanderung. Auch bei anderen Sportarten gab es solche Massensportereignisse: z. B. das Tischtennis-Turnier der Tausend (TTT). Das sportliche Leben der Stadt prägten zahllose Sportfeste; 1975 wurden 450 Sportfeste mit 64.500 Teilnehmern in Karl-Marx-Stadt gezählt.  

Diese Erfolgszahlen dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Breitensport in den 70er und 80er Jahren keinen herausragenden Platz einnahm. Mit etwa 30.000 eingetragenen Sportlern war der Organisationsgrad nicht größer als in der Weimarer Zeit oder heute. 

 
 
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